Windspiel im Jungbrunnen

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In der historischen Altstadtbeiz «Weisser Wind» im Oberdorf, die seit 1904 auch das Weggen-Zunfthaus ist, wirten als neue Pächter das Trio Kurt Schempp, Ehefrau Kinga Makausz und Daniel Hunziker. Der auch vegetarisch ambitionierte Küchenchef Silvio Hennig setzt zwar weiterhin gutbürgerlich auf Siedfleisch und Innereien, doch modernisiert der Saucen-Profi seine Küche auf raffinierte Weise.

Wir hatten vorsorglich reserviert, gottlob, denn der «Weisse Wind» war an diesem ganz gewöhnlichen Dienstagmittag total ausgebucht. Die beiden voll besetzten Stammtische sorgten für einen solid volkstümlichen akustischen Teppich.
Es macht den Anschein, dass die Stammgäste dem zünftigen Lokal die Treue halten, auch wenn es die neuen Betreiber gründlich entstaubt haben. Es kommen weiterhin, kunterbunt zusammengewürfelt, Banker und Pensionierte, Reisegruppen, Eigenbrötler mit Compi, Jasser, Jazzer, Freundinnen…
Die Mutter und ihre fürsorgliche Tochter an unserem Nebentisch wählten jedenfalls zuversichtlich den Wochenhit Trüffelrisotto (Fr. 28.50) und einen Schluck Zouft-Wy (Eigenbau Ueli Welti, Küsnacht, Fr. 5.– pro dl), bevor sie sich frohgemut zu ihrem allmonatlichen Züri-Shopping aufmachten. Als Alternativen hätten bereit gestanden: Linsentätschli mit Senfkohl (Fr. 27.50), gratiniertes Markbein mit Meerrettich (Fr. 14.50), klassische Kalbsleberli mit Zouft-Wy-Sauce (Fr. 38.50), Siedfleisch (Fr. 36.50), Lammhaxe aus dem Ofen mit Bohnen und Kartoffelküchlein (Fr. 41.50) oder Gehacktes mit Hörnli und hausgemachtem Apfelmus (Fr. 23.–). Herz, was willst du mehr?
Sentimentale provenzalische Souvenirs aus den Siebzigerjahren weckte in mir der altmodische Rosé Domaine Ott (Fr. 7.50), ein zeitgenössisches Highlight dagegen ist der argentinische Hauswein, ein Malbec aus Mendoza.

Einstiges Pfarrhaus
Vor rund 600 Jahren stand auf diesem Areal eine Scheune mit damals noch ländlichem Umschwung. Um 1430 wurde darauf das Haus zum Hering gebaut und 1441 für 130 Gulden dem Kaplan der Sankt Mauritius-Pfrund des Grossmünsters verkauft. Für gut 200 Jahre diente es als Pfarrhaus. Von 1700 bis 1836 wurde das Haus von fünf Generationen der Familie von Orelli bewirtschaftet, standesbewussten Jägern, die es 1756 «Zum Weissen Wind» tauften, womit ein Windspiel (Jagdhund) gemeint ist. 1836 erwarb Küfermeister Johann Rudolf Koller die Liegenschaft. Er war der Onkel des Malers Rudolf Koller, der die berühmte Gotthardpost schuf. Koller eröffnete 1855 ein «Bier-Local» mit Gartenwirtschaft und einer gedeckten Kegelbahn. 1952 wurde das Restaurant auf 85 Plätze erweitert und im grossen Saal eine Bühne eingebaut. Unvergessen bleibt der Wirt und Veloprofi Oscar Zünti mit 31 Dienstjahren. Seit 1904 ist der «Weisse Wind» das Reduit der Weggenzunft.

Saal mit Bühne
Der grosse Saal im 1. Stock – mit Bühne – wird mit kunterbunten Programmen bespielt. Das Cabaret Rotstift machte dort Furore, lange ist es her, in den Sechzigerjahren tobte das Jazzfestival auf und hinter der Bühne, der Tenorsaxophonist Dexter Gordon (1923-1990) hornte weltmeisterlich, auch noch im sturzbetrunkenen Zustand. Die SP inszenierte hier ihren geselligen «Risotto und Rote Geschichten». Wenn die Tschliner Fränzlis gastieren, bleibt kein Platz frei, Caveman, Blues Max und das Estrich-Theater Zürich, derzeit mit Toulouse-Lautrec, sind Dauerbrenner. – Im Jahr 2002 konnte der Verein Zunfthaus zum Weggen die Liegenschaft kaufen und übertrug das seit 2007 denkmalgeschützte Haus per Baurecht dem erfolgreichen Gastrounternehmer Georges Bochsler, der den «Weissen Wind» schon viele Jahre erfolgreich betrieb. Frischgebackene Zunft-Wirtin wurde für die nächsten Jahre seine herzlich überall mit anpackende Tochter Susanne Bochsler. Und nun also, 2019, dieser Pächterwechsel. Alles wird neu – und bleibt doch beim Alten, wie es sich gehört.

Esther Scheidegger

Restaurant/Zunfthaus «Weisser Wind», Oberdorfstrasse 20, 8001 Zürich, Tel. 044 251 18 45, www.weisserwind.ch, Montag bis Samstag 11 bis 14 und 17 bis 23 Uhr.